Filmprogramm
Die Filmprogramme des EMAF entstehen in Zusammenarbeit mit internationalen Kurator*innen, Künstler*innen und Theoretiker*innen, die als Teil der Auswahlkommission die Beiträge für Wettbewerbs- und Langfilmprogramme auswählen oder eingeladen werden, eigene thematische Programme und Reihen zu entwickeln.
Internationaler Wettbewerb und Langfilme
31 Kurzfilme sind in diesem Jahr in der Internationalen Auswahl zu sehen, in der Features-Sektion treten vier aktuelle Langfilme mit fünf Filmen aus den 1980er- und 90er Jahren in Dialog. Gezeigt werden - oft erstmals in Deutschland - Arbeiten renommierter wie junger Künstler*innen aus aller Welt. In zahlreichen Filmen begegnen wir Gesten des Aufbegehrens und Widerstands gegen andauerndes Unrecht und soziale Ungleichheit. Künstler*innen spielen mit filmischen Genres, vor allem mit Elementen von Horror und Suspense, was auch mit ihrem Unbehagen an der Gegenwart zu tun haben mag. Ein weiteres zentrales Motiv ist das Wiederaufsuchen von persönlichen und politischen Geschichten im direkten Gespräch, aber auch in der Begegnung mit Orten und Landschaften. Die mehr oder weniger gezähmte Natur - der Garten, der Park, der Urwald - taucht dabei immer wieder auf als historischer Schauplatz, persönlicher Ankerpunkt oder utopischer Entwurf für ein anderes Zusammenleben.
We sing to wing again
Was können Kunst und Film tun oder sagen, während wir im Livestream verfolgen, wie ein Völkermord begangen wird und die Verantwortlichen ungestraft davonkommen? Das von der kolumbianischen Künstlerin Laura Huertas Millán kuratierte Filmprogramm zum Thema Witnessing Witnessing untersucht eine Reihe unterschiedlicher künstlerischer Praktiken, die um Erinnerung, die Körperlichkeit von Widerstand sowie Performance als somatisches Archiv für die Überlieferung von Geschichte kreisen. Der Titel der Reihe, We sing to wing again, inspiriert von einem Vers der Dichterin Hoa Nguyen, verweist auf die nicht enden wollenden Zyklen kolonialer Gewalt, das Durchbrechen eines oppressiven Schweigens, das Bezeugen von Geschehenem und das Beharren auf Hoffnung. Zu sehen sind Kurzfilme von Künstler*innen aus fünf Jahrzehnten.
Artists in Focus
Wir freuen uns sehr, in diesem Jahr New Red Order (NRO) als Artists in Focus begrüßen zu können - genauer: NRO and Co., denn neben Filmen der Hauptmitwirkenden Adam Khalil (Ojibway), Zack Khalil (Ojibway) und Jackson Polys (Tlingit) werden auch Arbeiten zu sehen sein, die in anderen Konstellationen entstanden sind. In Filmen, Installationen, Performances und in kollektiven Projekten setzt sich NRO mit einer kolonialen Siedler-gesellschaft auseinander, die gleichermaßen von der Sehnsucht nach dem Indigenen wie der gewaltsamen Vernichtung und Vertreibung von indigenem Land und Leben geprägt ist. In ihren filmischen Arbeiten nutzen sie die Sprachen von Genrekino und Experimentalfilm, Werbefilm und Manifest, verbunden mit Humor, Aufrichtigkeit und gewissenhafter Recherche, um unsere politische Vorstellungskraft zu erweitern und Wege hin zu einer lebenswerten Zukunft zu weisen.
SPECTRAL
Auch in diesem Jahr wird das Kollektiv LaborBerlin im Rahmen von SPECTRAL die Vielfalt der analogen Filmpraxis vorstellen. Ein zentrales Werk der diesjährigen Präsentation ist die Rekonstruktion einer Multiprojektionsperformance, die Takahiko limura, ein Pionier des Expanded Cinema in Japan, gemeinsam mit dem Komponisten Alvin Lucier entwickelt hat. Dank der Zusammenarbeit von LaborBerlin mit den Forscher*innen von Collaborative Cataloging Japan wird die Performance erstmals seit den 1960er Jahren wieder zu sehen sein. Außerdem werden unter dem Titel S.P.A.C.E. EXPANDED performative und instal-lative Expanded-Cinema-Arbeiten präsentiert, die in den letzten drei Jahren im Rahmen eines Residenzprogramms entstanden sind. Sie alle aktivieren den Projektionsraum auf besondere Weise und verwandeln ihn in einen Ort gemeinsamer Erfahrung.
EMAF Extended
Nach Abschluss des Festivals wird neben der EMAF Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück auch der Dokumentarfilm exergue – on documenta 14 (2024) von Dimitris Athiridis zu sehen sein. Der Film begleitet den Künstlerischen Leiter der documenta 14 Adam Szymczyk und sein kuratorisches Team bei der Planung und Umsetzung einer der weltweit wichtigsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die 2017 erstmals in Kassel und Athen stattfand. Diese Entscheidung löste schon im Vorfeld Kontroversen aus und führte zu einem Budgetdefizit und anschließendem Medienskandal. exergue bietet in 14 Kapiteln einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen zeitgenössischer Kunstproduktion: das Spannungsfeld zwischen kuratorischer Arbeit und institutionellen Strukturen, lokaler Förderung und globalem Kunstmarkt, die Rolle zeitgenössischer Kunst in einer sich verändernden politischen Landschaft.
Ausstellung
Wie wird Zeug*innenschaft sichtbar, hörbar, erfahrbar? Wie formen wir Erinnerungen und Wahrheiten durch das, was wir bezeugen? Die Künstler*innen der Ausstellung arbeiten mit filmischer Dokumentation, Oral History, Archiven und gerichtlichen Zeug*innenaussagen, versammeln forensische Expert*innen, analysieren materielle und mediale Spuren und untersuchen das Bezeugen dabei als aktive, performative Praxis.
Die Künstler*innen setzen sich mit Zeug*innenschaft als moralischem politischen und emotionalen prozessualen Akt auseinander. Sie reflektieren, wessen Zeugnisse wahrgenommen werden und auf welche Weise. Dabei beleuchten sie die Verantwortung und Machtverhältnisse, die mit dem Bezeugen, der Darstellung von Ereignissen verbunden sind.
Talks
Wenn Zeug*innen von Gewalt und Ungerechtigkeit ungehört bleiben, wo wird das, was passiert, registriert, wo wird es aufgehoben? Wie kann das, was bezeugt wurde, Geschichten schreiben, die noch nicht geschrieben wurden und die Macht eines systemischen Unwissens brechen, das gesellschaftliche Privilegien sichert?
Zeug*innenschaft ist selbst verstrickt in epistemische Gewalt: Ich sehe nur, was ich kenne, erkenne, zu erkennen gelernt habe. Ausgehend vom NSU-Komplex beschreibt Natascha Sadr Haghighian in Was ich noch nicht erkenne, jetzt in diesem Moment (2023) kollektive Ignoranz als Grundlage von strukturellem Rassismus und stellt dieser die Selbstbehauptung migrantisch situierter Erfahrung und Erinnerung entgegen. Der Titel der diesjährigen Talks I could swear my face was touching stone greift die affektiven Aspekte des Bezeugens auf. Er ist der Gedichtsammlung Land to Light On (1997) der kanadischen Schriftstellerin Dionne Brand entliehen. Brand hat sich in ihrer Poesie immer wieder mit der Frage des Bezeugens beschäftigt, mit der Lücke zwischen dem, was angetan, und dem, was davon berichtet wurde.
Vor diesem Hintergrund widmen sich die vier Veranstaltungen, in denen die Beitragenden Kurzvorträge, Gespräche, Lesungen und Filme miteinander verknüpfen, der transhistorischen Dimension von Zeug*innenschaft sowie körperlichen und sensorischen Formen des Wissens. Die Filmwissenschaflerinnen Anaïs Farine und Irit Neidhardt diskutieren die Geschichte der Produktion und (Wieder-)Aneignung von Bildern aus Palästina. Die Autorin und Philologin Sanabel Abdel Rahman und der Künstler und Forscher Ashkan Sepahvand sprechen über Zeug*innen, die koloniale Realität mit Fabulation durchdringen. Die Rechts- und Islamwissenschaftlerin Nahed Samour und die Künstlerin Anita Di Bianco befragen mediale wie juristische Bruchstellen, um sie als Kontinuitäten erkennbar zu machen. Zum Abschluss gehen der Autor und Kurator José B. Segebre und Ashkan Sepahvand auf wartende wie sterbende Körper als ästhetische Strategien in dekolonialer, intersektionaler queerfeministischer Kunstpraxis und AIDS-Aktivismus ein.
Kuratiert und moderiert von Natascha Sadr Haghighian, Marc Siegel, Philip Widmann und Florian Wüst.
Campus
In der Festivalsektion Campus stellen Klassen und Fächergruppen von Kunsthochschulen und Universitäten aktuelle Arbeiten vor. In diesem Jahr sind Studierende aus Helsinki, Szczecin, Braunschweig und Osnabrück beim EMAF zu Gast und bespielen mit Ausstellungen, Filmprogrammen und Performances die Festivalkinos und ausgewählte Orte in der Osnabrücker Innenstadt.
Die Ausstellung der HBK Braunschweig präsentiert Arbeiten von Studierenden der Freien Kunst und Kunstpädagogik. Filme, Videos, Skulpturen, Performances und Installationen erörtern die Verbindungen zwischen individuellen Erfahrungen und gesellschaftlichen sowie politischen Zusammenhängen. Dabei geht es um verschiedene Perspektiven auf Fragen der Zeug*innenschaft.
It Will Be a Very Difficult Conversation ist ein Kurzfilm von Studierenden der Academy of Art in Szczecin, der auszudrücken versucht, wofür im Alltag die Worte fehlen: Wie begegnen wir Konflikten in unserer unmittelbaren Umgebung? Wie kann ich kritische Kunst produzieren, die vielleicht meine Nächsten beeinträchtigt? Wie gehe ich damit um, wenn ein Krieg die Community spaltet, aus der ich stamme?
In ihrem Film- und Performance-Event Ensemble machen Studierende der Academy of Fine Arts, Helsinki grundsätzliche Fragen der gemein samen Erfahrung von Bildern und Räumen zum Thema. Für eine begrenzte Zeit öffnen sich Türen, die uns in ein Zuhause, ans Meer oder an eine Hautoberfläche führen. Stimmen, Soundscapes und das Licht der Projektoren leiten das Publikum in den Raum und die Zeit ihrer Imagination.
Das Institut Kunst/Kunstpädagogik der Universität Osnabrück beteiligt sich mit Arbeiten, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstler*innen entstanden sind. Sie wollen die menschlichen Grenzen bei der Verarbeitung von Informationen und die psychologischen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen von Fehlinformationen und Informationsüberflutung bewusst machen.
Studierende des Medienlabors der Hochschule Osnabrück präsentieren Projekte, die sich mit den Mitteln von Virtual Reality, Al oder Physical Computing mit den Strategien politischer Manipulation, der Modellierung und taktilen Erforschung von Landschaften und neuen Formen der spielerischen Interaktion auseinandersetzen.
In der Behörde für Alltagszeugnisse der Musik- und Kunstschule Osnabrück werden persönliche Zeugnisse der Bürger*innen von den Mitarbeitenden systematisch administriert, geordnet und verwaltet. Persönliche Alltagszeugnisse wie Notizzettel, Kassenbons oder Kontaktlinsenschalen können von Bürger*innen im zuständigen Büro abgegeben werden.