04.03.2025
EMAF 38 - Die Ausstellung: Witnessing Witnessing

Am 23. April wird in der Osnabrücker Kunsthalle das European Media Art Festival eröffnet. Dort wird auch die von Inga Seidler kuratierte Ausstellung des EMAF 2025 zu sehen sein. Sie widmet sich dem Festivalthema Witnessing Witnessing und erforscht Zeug*innenschaft als aktive und performative Praxis, die über die bloße Dokumentation von Ereignissen hinausgeht. Die versammelten internationalen Künstler*innen nutzen digitale Medien, Video, VR, 3-D Scans, Skulptur, forensische Methoden oder Reenactment, um Zeug*innenschaft als moralischen, politischen und emotionalen Akt zu beleuchten. In ihren Installationen hinterfragen sie die Authentizität und Wahrheit von Medienproduktionen sowie die damit verbundenen Machtverhältnisse. Die Besucher*innen der Ausstellung sind eingeladen, Verbindungen herzustellen und sich kritisch mit den präsentierten Informationen auseinanderzusetzen. Gezeigt werden Arbeiten von Agil Abdullayev, Alisa Berger, Karolina Bregula, Doplgenger (Isidora Ilić und Boško Prostran), Hannah Hallermann, Flo Kasearu, Gabriela Löffel und Benedikt Terwiel. Vier von ihnen wollen wir Ihnen exemplarisch vorstellen:
Bei der Videoinstallation Illustrating the Request for Privacy der Künstlerin Flo Kasearu handelt es sich um eine dokumentierte Performance, die gemeinsam mit einer Gruppe von Frauen entwickelt wurde, die die Unterstützung des Pärnu Women’s Shelter (Pärnu Frauenhaus) nutzen. Jede fünfte Frau in Estland hat in ihrem Leben körperliche Gewalt erlebt, und jede zehnte hat auch sexuelle Gewalt erfahren. Dies sind die offiziellen Zahlen, die tatsächlichen Zahlen liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitaus höher. Kasearu organisierte im NO99 Theater in Tallinn eine Performance mit den Frauen aus dem Pärnu Women’s Shelter. Über einen Zeitraum von zwei Stunden lasen die Frauen, die gemeinsam mit dem Publikum in einer den Gerichtsräumen nachempfunden Kulisse saßen, Passagen aus den Akten ihrer eigenen Gerichtsverfahren vor. In schwarz/weiß gedreht, konzentriert sich Illustrating the Request for Privacy ausschließlich darauf, wie die Frauen diese künstliche bürokratische Sprache vorlesen, die völlig losgelöst von den traumatischen Vorfällen erscheint. Die Arbeit zeigt damit einerseits den mutigen emanzipatorischen Akt dieser Frauen, verdeutlicht dabei aber gleichzeitig die Kluft zwischen den amtlichen abstrahierenden Aufzeichnungen und den persönlichen traumatischen Erfahrungen, mit denen die Betroffenen meist allein gelassen werden.
Das serbische Künstler*innenduo doplgenger (Isidora Ilić und Boško Prostran) kombiniert neu aufgenommenes und archiviertes Material in einer 2-Kanal-Videoinstallation. Record of the Termite Landscape (Snimak pejzaža termita) ist ein Videoessay, der Archivbilder von sozialistischen Bergarbeiter*innen Szenen des modernen Bergbaus in kapitalistischen Gesellschaften gegenüberstellt. Dabei beziehen sich doplgenger zum einem auf die Gedichte des jugoslawischen, revolutionären und surrealistischen Schriftstellers Oskar Davičos, auf den schon der Titel der Arbeit verweist, und zum anderen auf den Begriff der „Termiten-Kunst“ des Malers und Filmkritikers Manny Farber, die er selbst als künstlerische Praxis definiert, die „die Grenzen der eigenen Kunst konsequent überschreitet“. Die Künstler*innen hinter-fragen ihre eigene Herangehensweise, wollen den Horizont jenseits des Medienspektakels erkunden und Zeugnisse der Vergangenheit neu bewerten. In diesem Sinne bringen doplgenger verschiedene synchrone und diachrone Situationen und Bilder zusammen, um eine Debatte über das komplexe Puzzle politischer Ökonomie und ihrer unterschiedlichen Darstellungen anzustoßen.
Die Arbeit Grammar of Calculated Ambiguity basiert auf einer Audiospur, die die Schweizer Künstlerin Gabriela Löffel zwei Wochen nach der Veröffentlichung der Pandora Papers während einer Offshore-Finanzkonferenz aufgenommen hat. Diese mehrtägige Konferenz richtete sich exklusiv an Insider*innen der Finanzbranche, an Treuhänder*innen, Anwält*innen und Vermögensverwalter*innen, sozusagen an die Architekt*innen von Offshore-Strukturen. Gabriela Löffels Aufnahme dokumentiert eine Podiumsdiskussion über die Wahrnehmung der Offshore-Finanzindustrie in der Öffentlichkeit. Während der Finanzindustrie eine Schlüsselrolle im Zusammenhang globaler Krisen wie der Klimakrise und wachsender Ungleichheit zukommt, bleiben ihre Strukturen und Vorgehensweisen schließlich versteckt. Aufgrund der akustischen Bedingungen sind Teile der Aufnahme schwer verständlich. Expert*innen haben sie deshalb im Tonstudio mit Hilfe von forensischen Tontechnikern rekonstruiert. Diesen Übersetzungsprozess filmte Löffel und thematisiert dabei die Mehrdeutigkeit von Sprache: Während wir hören, wie Fachjargon unter anderem genutzt wird, um bestehende Gesetze zu umgehen, wird deutlich, dass Worte niemals neutral sind – selbst kleinste Nuancen können neue Bedeutungsräume eröffnen. Eine Komposition der Klangkünstlerin Olga Kokcharova ergänzt und interveniert in das Video und betont so die modulierbaren, porösen Formen der Installation.
Agil Abdullayevs Radicals in Between Trees and Dicks basiert auf einer vierjährigen Feldforschungsarbeit über queere Cruising-Kultur in Aserbaidschan und den angrenzenden Regionen des Kaukasus, Georgiens und Kasachstans - Umgebungen, in denen queere Identitäten kriminalisiert oder unterdrückt werden, in denen aber Cruising (die Suche nach anonymen Begegnungen im öffentlichen Raum) nach wie vor eine wichtige Praxis ist. Die Installation kombiniert Performances, Oral History-Zeugnisse und poetische Nachinszenierungen, um zu verdeutlichen, wie queere Geschichte und Gemeinschaft mit politischer Dringlichkeit in umkämpften Räumen verwoben sind. Auf drei Video-Kanälen zeigt sie verschiedene Perspektiven auf Cruising: physische Orte wie Parks und verlassene Gebäude, anonymisierte Interviews und abstrahierte Bildsprache durch Zeitlupen und Körperbewegungen. Agil Abdullayevs hinterfragt dominante Narrative und lädt ein, öffentlichen Raum durch eine queere Linse zu sehen. Dabei bezieht Abdullayevs auch Merkmale aus der aserbaidschanischen Filmgeschichte ein, insbesondere aus sowjetischen Filmen, die traditionelle Familienwerte und Maskulinität aufrufen, und verarbeitet diese in minimalistischen Tanzszenen. In der Arbeit geht es nicht nur um die Dokumentation von queeren Erfahrungen, sondern auch um das Schaffen von Räumen, in denen diese Geschichten erzählt und neu interpretiert werden können.
Die Ausstellung wird bis zum 25. Mai in der Kunsthalle Osnabrück zu sehen sein.
Bilder zu den einzelnen Arbeiten sowie weitere Informationen stellen wir Ihnen gern zur Verfügung. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an presse@emaf.de.