04.03.2025
EMAF 38 - Exhibition "Witnessing Witnessing"

In sieben Wochen beginnt in Osnabrück das 38. European Media Art Festival. Die von Inga Seidler kuratierte Ausstellung des EMAF 2025 in der Kunsthalle Osnabrück widmet sich dem Festivalthema Witnessing Witnessing und erforscht Zeug*innenschaft als aktive und performative Praxis, die über die bloße Dokumentation von Ereignissen hinausgeht. Die versammelten internationalen Künstler*innen nutzen digitale Medien, Video, VR,3-D Scans, Skulptur, forensische Methoden oder Reenactment, um Zeug*innenschaft als moralischen, politischen und emotionalen Akt zu beleuchten. In ihren Installationen hinterfragen sie die Authentizität und Wahrheit von Medienproduktionen sowie die damit verbundenen Machtverhältnisse. Die Besucher*innen der Ausstellungsind eingeladen, Verbindungen herzustellen und sich kritisch mit den präsentierten Informationen auseinanderzusetzen. Gezeigt werden Arbeiten von Agil Abdullayev, Alisa Berger, Karolina Breguła, Doplgenger (Isidora Ilić und Boško Prostran), Hannah Hallermann, Flo Kasearu, Gabriela Löffel und Benedikt Terwiel. Drei von ihnen wollen wir Euch hier exemplarisch vorstellen:
Bei der Videoinstallation Illustrating the Request for Privacy der Künstlerin Flo Kasearu handelt es sich um eine dokumentierte Performance, die gemeinsam mit einer Gruppe von Frauen entwickelt wurde, die die Unterstützung des Pärnu Women’s Shelter (Pärnu Frauenhaus) nutzen. Jede fünfte Frau in Estland hat in ihrem Leben körperliche Gewalt erlebt, und jede zehnte hat auch sexuelle Gewalt erfahren. Dies sind die offiziellen Zahlen, die tatsächlichen Zahlen liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit weitaus höher. Kasearu organisierte im NO99 Theater in Tallinn eine Performance mit den Frauen aus dem Pärnu Women’s Shelter. Über einen Zeitraum von zwei Stunden lasen die Frauen, die gemeinsam mit dem Publikum in einer den Gerichtsräumen nachempfunden Kulisse saßen, Passagen aus den Aktenihrer eigenen Gerichtsverfahren vor. In schwarz/weiß gedreht, konzentriert sich Illustrating the Request for Privacy ausschließlich darauf, wie die Frauen diese künstliche bürokratische Sprache vorlesen, die völlig losgelöst von den traumatischen Vorfällen erscheint. Die Arbeit zeigt damit einerseits den mutigen emanzipatorischen Akt dieser Frauen, verdeutlicht dabei aber gleichzeitig die Kluft zwischen den amtlichen abstrahierenden Aufzeichnungen und den persönlichen traumatischen Erfahrungen, mit denen die Betroffenen meist alleingelassen werden.
Die Arbeit Grammar of Calculated Ambiguity basiert auf einer Audiospur, die die Schweizer Künstlerin Gabriela Löffel zwei Wochen nach der Veröffentlichung der Pandora Papers während einer Offshore-Finanzkonferenz aufgenommen hat. Diese mehrtägige Konferenz richtete sich exklusiv an Insider*innen der Finanzbranche, an Treuhänder*innen, Anwält*innen und Vermögensverwalter*innen, sozusagen an die Architekt*innen von Offshore-Strukturen. Gabriela Löffels Aufnahme dokumentiert eine Podiumsdiskussion über die Wahrnehmung der Offshore-Finanzindustrie in der Öffentlichkeit. Während der Finanzindustrie eine Schlüsselrolle im Zusammenhang globaler Krisen wie der Klimakrise und wachsender Ungleichheit zukommt, bleiben ihre Strukturen und Vorgehensweisen schließlich versteckt. Aufgrund der akustischen Bedingungen sind Teile der Aufnahme schwer verständlich. Expert*innen haben sie deshalb im Tonstudio mit Hilfe von forensischen Tontechnikern rekonstruiert. Diesen Übersetzungsprozessfilmte Löffel und thematisiert dabei die Mehrdeutigkeit von Sprache: Während wir hören, wie Fachjargon unter anderem genutzt wird, um bestehende Gesetze zu umgehen, wird deutlich, dass Worte niemals neutral sind – selbst kleinste Nuancen können neue Bedeutungsräume eröffnen. Eine Komposition der Klangkünstlerin Olga Kokcharova ergänzt und interveniert in das Video und betont so die modulierbaren, porösen Formen der Installation.
Agil Abdullayevs Radicals in Between Trees and Dicks basiert auf einer vierjährigen Feldforschungsarbeit über queere Cruising-Kultur in Aserbaidschan und den angrenzenden Regionen des Kaukasus, Georgiens und Kasachstans - Umgebungen, in denen queere Identitäten kriminalisiert oder unterdrückt werden, in denen aber Cruising (die Suche nachanonymen Begegnungen im öffentlichen Raum) nach wie vor eine wichtige Praxis ist. Die Installation kombiniert Performances, Oral History-Zeugnisse und poetische Nachinszenierungen, um zu verdeutlichen, wie queere Geschichte und Gemeinschaft mit politischer Dringlichkeit in umkämpften Räumen verwoben sind. Auf drei Video-Kanälen zeigt sie verschiedene Perspektiven auf Cruising: physische Orte wie Parks und verlassene Gebäude, anonymisierte Interviews und abstrahierte Bildsprache durch Zeitlupen und Körperbewegungen. Agil Abdullayev hinterfragt dominante Narrative und lädt ein, öffentlichen Raum durch eine queere Linse zu sehen. Dabei bezieht Abdullayev auch Merkmale aus der aserbaidschanischen Filmgeschichte ein, insbesondere aus sowjetischen Filmen, die traditionelle Familienwerte und Maskulinität aufrufen, und verarbeitet diese in minimalistischen Tanzszenen. In der Arbeit geht es nicht nur um die Dokumentation von queeren Erfahrungen, sondern auch um das Schaffen von Räumen, in denen diese Geschichten erzählt und neu interpretiert werden können.
Die Ausstellung wird bis zum 25. Mai in der Kunsthalle Osnabrück zu sehen sein.
Weiterhin können sich Film- und Kunstprofessionals hier für den Besuch des Festivals anmelden. Die Akkreditierung berechtigt zum freien Eintritt in alle Filmprogramme, die Ausstellungen, Performances, Talks und den EMAF Campus. Akkreditierungsschluss ist der 18.April.
Picture Copyright: Flo Kasearu